Was für ein Sommer

Zwei Monate, über 30 Veranstaltungen, zwei Fragen: Was war? Und was bleibt?
Hinter dem Jahrmarkttheater liegt eine Saison, die neu war. Mit den vorherigen Spielzeiten hat sie womöglich nur eines gemein: dass sie anders war als alle zuvor. „Jeder Sommer ist ein besonderer Sommer“, sagt die Gestalterin Anja Imig. „Da reiht sich dieser ein.“
Ein Sommer der Vielfalt.
Unterschiedliches Programm, unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliche Themen und Darstellungsformen. Vom Rumalbern mit einem gigantischen Ballon über Theaterstücke und Filmaufführungen bis hin zum gemeinsamen Schweige-Workshop war das Jahrmarkttheater eine Bühne der Vielen. „Vielfalt ist eigentlich so ein Wort, das ich vermeiden will“, sagt Regisseur Thomas Matschoss. „Aber das Programm und die Menschen waren halt einfach sehr vielfältig.“
Gerade thematisch wurde Vieles angeschnitten. Vielleicht zu vieles? „Ich bin nicht sicher, ob wir allem gerecht geworden sind“, so Imig. „Diese Dinge müssen weitergedacht werden.“
Ein Sommer der Reflektion.
Die inspirierende Geschichte des Polarforschers Ernest Shackleton, der Übungsraum für Kritik, die Performance „das Flüstern“ von Mbene Mwabene und Bharati Franaszek: Das diesjährige Programm bot reichlich Anlass zum Grübeln. Vielleicht hat es mehr Fragen aufgeworfen als es beantwortet hat.
Regisseur Thomas Matschoss erinnert sich an die Rückmeldung eines Mannes nach der Performance „das Flüstern“, in der Mwabene koloniale Geschichte und alltäglichen Rassismus transparent macht:
„Der Herr meinte, dass ihn der Abend sehr zum Nachdenken gebracht hat, dass er anders auf diese Themen schaut. Das finde ich schöner als wenn jemand sagt: ´Mensch, war das wieder lustig heute´.“
Dann ist da der Slogan „Zeltplatz der Zivilisation“. Eine klangvolle Alliteration, aber auch etwas naiv gewählt, wie Regisseur Thomas Matschoss rückblickend sagt, ohne über die unschönen Wahrheiten hinter dem Begriff Zivilisation nachgedacht zu haben. Künftig würde er den Slogan wohl nicht mehr verwenden. „Aber vielleicht war es auch gut. Es hat zu fruchtbaren Diskussionen geführt, uns weitergebracht.“
Ein Sommer des Dialogs.
Kultur lebt auch vom Austausch. Und Austausch hat es gegeben. Etwa nach der Aufführung des Films „German Preppers“ von Verena Hahn oder im Übungsraum für Kritik. Oder nach „das Flüstern“.
Gedanken und Ansichten trafen respektvoll aufeinander, es ging um Krisen und Kommunikation, Rassismus und Gewalt, Vergangenheit und Zukunft. „Ich bin stolz, dass wir diese Themen angeritzt und Menschen angeregt haben“, so Matschoss. „Wir haben gemerkt, dass die Leute, viel mehr als sonst, nicht nur unterhalten wurden.“
Ein Sommer der Begegnung.
Mehr noch als in den vorherigen Jahren war das Jahrmarkttheater eine Herberge der Künstler und Kreativen. „Es ist wunderbar, so viele Menschen an diesem Ort zu haben“, so Imig. „Von den vielen, vielen tollen Begegnungen werde ich zehren.“ Sie erinnert sich aber auch an eher schwierige, augenöffnende Momente der Begegnung. Etwa die Blicke von Kindern und Erwachsenen auf den Schwarzen Mwabene, der zwei Wochen auf dem Anwesen verbracht hat. „Zu sehen, wie fremd Menschen wie er hier wahrgenommen wurden und wie wenig einige Leute damit umgehen konnten, war berührend und erschütternd.“
Ein Sommer der Belastung.
Nie hat das Jahrmarkttheater so viele Veranstaltungen ausgerichtet. Nicht einmal annähernd. Gab es sonst meist ein Haupt- und Kinderstück, kamen nun rund ein Dutzend zusätzlicher Veranstaltungen hinzu. Ein organisatorischer Kampf für die Macher:innen Andrea Hingst, Imig und Matschoss.
Genuss, Leichtigkeit, Ruhe, Gelassenheit, das sei letztlich zu kurz gekommen, sagt Imig. Und Matschoss meint: „Wir waren oft nah an der Belastungsgrenze. Wenn wir das nochmal machen, müssen wir es anders machen.“
Ein Sommer, der prägt.
Begeisterung, Stolz, Freude, Erschöpfung, Stress - das alles schwingt mit, während Imig und Matschoss über die Spielzeit 2021 sprechen. „Ich glaube, es ist viel hängen geblieben, sowohl intern als auch bei den Besucher:innen“, so Matschoss. „Wir haben in den letzten Monaten viel gelernt.“
Jetzt geht der Blick nach vorn. Nach der Saison ist vor der Saison. Mitte Oktober muss die Planung für die nächste Spielzeit abgeschlossen sein. Das Hauptstück Patience Camp könnte vielleicht zurückkehren, vielleicht auch nicht. Ein breites Angebot, das über klassisches Theater hinausgeht, könnte es ebenfalls wieder geben. Vielleicht auch nicht. Der Wille jedenfalls ist da, wie Imig betont:
„Wir haben voll Bock, weiterhin mehr Künstler:innen einzubinden!"
Über die gesamte Dauer des 'Zeltplatz der Zivilisation' verwaltet der überregional bekannte Journalist und Fotograf Philipp Awounou die wichtigsten Postdienste vor Ort. Alles was auf dem Zeltplatz passiert, geht über die Poststelle nach draußen. In persönlichen Briefen, griffigen Telegrammen, ganzen Zeitungsartikeln und mit Fotos begleitet, kommentiert und reflektiert Philipp Awounou das Geschehen. Dadurch bleiben wir nicht nur alle auf dem Laufenden, sondern sind zugleich eingeladen, die eigenen Erlebnisse oder Gedanken in neue Fächer zu sortieren.

Wer regelmäßig aus der Poststelle beliefert werden will, kann die Sendungen unter kontakt@jahrmarkttheater.de abonnieren.

Was für ein Sommer

Zwei Monate, über 30 Veranstaltungen, zwei Fragen: Was war? Und was bleibt?
Hinter dem Jahrmarkttheater liegt eine Saison, die neu war. Mit den vorherigen Spielzeiten hat sie womöglich nur eines gemein: dass sie anders war als alle zuvor. „Jeder Sommer ist ein besonderer Sommer“, sagt die Gestalterin Anja Imig. „Da reiht sich dieser ein.“
Ein Sommer der Vielfalt.
Unterschiedliches Programm, unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Hintergründe, unterschiedliche Themen und Darstellungsformen. Vom Rumalbern mit einem gigantischen Ballon über Theaterstücke und Filmaufführungen bis hin zum gemeinsamen Schweige-Workshop war das Jahrmarkttheater eine Bühne der Vielen. „Vielfalt ist eigentlich so ein Wort, das ich vermeiden will“, sagt Regisseur Thomas Matschoss. „Aber das Programm und die Menschen waren halt einfach sehr vielfältig.“
Gerade thematisch wurde Vieles angeschnitten. Vielleicht zu vieles? „Ich bin nicht sicher, ob wir allem gerecht geworden sind“, so Imig. „Diese Dinge müssen weitergedacht werden.“
Ein Sommer der Reflektion.
Die inspirierende Geschichte des Polarforschers Ernest Shackleton, der Übungsraum für Kritik, die Performance „das Flüstern“ von Mbene Mwabene und Bharati Franaszek: Das diesjährige Programm bot reichlich Anlass zum Grübeln. Vielleicht hat es mehr Fragen aufgeworfen als es beantwortet hat.
Regisseur Thomas Matschoss erinnert sich an die Rückmeldung eines Mannes nach der Performance „das Flüstern“, in der Mwabene koloniale Geschichte und alltäglichen Rassismus transparent macht:
„Der Herr meinte, dass ihn der Abend sehr zum Nachdenken gebracht hat, dass er anders auf diese Themen schaut. Das finde ich schöner als wenn jemand sagt: ´Mensch, war das wieder lustig heute´.“
Dann ist da der Slogan „Zeltplatz der Zivilisation“. Eine klangvolle Alliteration, aber auch etwas naiv gewählt, wie Regisseur Thomas Matschoss rückblickend sagt, ohne über die unschönen Wahrheiten hinter dem Begriff Zivilisation nachgedacht zu haben. Künftig würde er den Slogan wohl nicht mehr verwenden. „Aber vielleicht war es auch gut. Es hat zu fruchtbaren Diskussionen geführt, uns weitergebracht.“
Ein Sommer des Dialogs.
Kultur lebt auch vom Austausch. Und Austausch hat es gegeben. Etwa nach der Aufführung des Films „German Preppers“ von Verena Hahn oder im Übungsraum für Kritik. Oder nach „das Flüstern“.
Gedanken und Ansichten trafen respektvoll aufeinander, es ging um Krisen und Kommunikation, Rassismus und Gewalt, Vergangenheit und Zukunft. „Ich bin stolz, dass wir diese Themen angeritzt und Menschen angeregt haben“, so Matschoss. „Wir haben gemerkt, dass die Leute, viel mehr als sonst, nicht nur unterhalten wurden.“
Ein Sommer der Begegnung.
Mehr noch als in den vorherigen Jahren war das Jahrmarkttheater eine Herberge der Künstler und Kreativen. „Es ist wunderbar, so viele Menschen an diesem Ort zu haben“, so Imig. „Von den vielen, vielen tollen Begegnungen werde ich zehren.“ Sie erinnert sich aber auch an eher schwierige, augenöffnende Momente der Begegnung. Etwa die Blicke von Kindern und Erwachsenen auf den Schwarzen Mwabene, der zwei Wochen auf dem Anwesen verbracht hat. „Zu sehen, wie fremd Menschen wie er hier wahrgenommen wurden und wie wenig einige Leute damit umgehen konnten, war berührend und erschütternd.“
Ein Sommer der Belastung.
Nie hat das Jahrmarkttheater so viele Veranstaltungen ausgerichtet. Nicht einmal annähernd. Gab es sonst meist ein Haupt- und Kinderstück, kamen nun rund ein Dutzend zusätzlicher Veranstaltungen hinzu. Ein organisatorischer Kampf für die Macher:innen Andrea Hingst, Imig und Matschoss.
Genuss, Leichtigkeit, Ruhe, Gelassenheit, das sei letztlich zu kurz gekommen, sagt Imig. Und Matschoss meint: „Wir waren oft nah an der Belastungsgrenze. Wenn wir das nochmal machen, müssen wir es anders machen.“
Ein Sommer, der prägt.
Begeisterung, Stolz, Freude, Erschöpfung, Stress - das alles schwingt mit, während Imig und Matschoss über die Spielzeit 2021 sprechen. „Ich glaube, es ist viel hängen geblieben, sowohl intern als auch bei den Besucher:innen“, so Matschoss. „Wir haben in den letzten Monaten viel gelernt.“
Jetzt geht der Blick nach vorn. Nach der Saison ist vor der Saison. Mitte Oktober muss die Planung für die nächste Spielzeit abgeschlossen sein. Das Hauptstück Patience Camp könnte vielleicht zurückkehren, vielleicht auch nicht. Ein breites Angebot, das über klassisches Theater hinausgeht, könnte es ebenfalls wieder geben. Vielleicht auch nicht. Der Wille jedenfalls ist da, wie Imig betont:
„Wir haben voll Bock, weiterhin mehr Künstler:innen einzubinden!"
Über die gesamte Dauer des 'Zeltplatz der Zivilisation' verwaltet der überregional bekannte Journalist und Fotograf Philipp Awounou die wichtigsten Postdienste vor Ort. Alles was auf dem Zeltplatz passiert, geht über die Poststelle nach draußen. In persönlichen Briefen, griffigen Telegrammen, ganzen Zeitungsartikeln und mit Fotos begleitet, kommentiert und reflektiert Philipp Awounou das Geschehen. Dadurch bleiben wir nicht nur alle auf dem Laufenden, sondern sind zugleich eingeladen, die eigenen Erlebnisse oder Gedanken in neue Fächer zu sortieren.

Wer regelmäßig aus der Poststelle beliefert werden will, kann die Sendungen unter kontakt@jahrmarkttheater.de abonnieren.