„Ich gebe der Welt noch 200 Jahre“
Poststelle 2/10
Was würden Sie tun, wenn die Welt untergeht? So ganz plötzlich und unerwartet?
Ein unwirklicher Gedanke, nicht besonders realistisch, aber trotzdem: Was würden Sie tun? Wären Sie dafür gewappnet, ohne Strom, Internet oder Zugang zu Nahrung und Medizin zu leben?
„Ich hoffe nicht, dass es passiert“, sagt Dominik S. „Aber man weiß es nicht. Und wenn es passiert, bin ich lieber vorbereitet.“
Dominik S. ist einer der Protagonisten des Films „Deutsche Prepper“ von Verena Hahn. Darin portraitiert sie drei Menschen, die sich auf ein Leben danach vorbereiten, auf eine Zeit, in der heutige Selbstverständlichkeiten rar werden: Wasser, Essen, Elektrizität. Für Menschen, die Vorkehrungen für den ungewissen Tag X treffen, sich präparieren, hat sich die (Selbst- und Fremd-)Bezeichnung „Prepper“ etabliert.
Rund 200.000 solcher Prepper gibt es in Deutschland laut Schätzungen, und wenn dieser Film eines zeigt, dann, dass diese Community – wie so viele andere – deutlich vielseitiger ist als es die gängigen Klischees vermuten lassen.
Da wäre zum Beispiel Arthur B.: ein Naturliebhaber, der den Klimawandel fürchtet und zugleich die Grünen verachtet. Im Ernstfall will er sich im Wald zurückziehen. Oder Daniel E., Ex-Bundeswehrsoldat, der den menschengemachten Klimawandel leugnet und sich fragt, was um Himmels willen er bei Not im Wald tun sollte.
Oder Dominik S., ein Gutverdiener, der wirkt wie ein gewöhnlicher Gutverdiener.
In Hahns Film zeigen die Prepper ihre Welt aus ihrer Perspektive - im wörtlichen Sinne: Hahn drückte ihnen die Kamera in die Hand, sie sind es, die filmen. Die Zuschauenden sehen dadurch, was die Prepper sehen, und das ist meistens: eine um Verständnis bemühte Regisseurin.
Man sieht, wie Hahn Fragen stellt, die man selbst gestellt hätte und wie sie reagiert, wie man wohl selbst reagiert hätte. Würde man sich beim Filmgucken selbst filmen, oft sähe man wohl aus wie die Macherin des Films.
„Du machst das falsch“, sagt Arthur einmal zu ihr. „Du musst richtig festhalten! Festhalten. Fest-Halten!“
Hahn steht irgendwo im Wald und versucht unter Anleitung des Preppers ein Feuer zu entfachen. „Wir sind beide erkältet, beide krank und in einer Notsituation“, so das geschilderte Szenario. „Du musst Feuer machen, Frau.“
Wieder und wieder reibt sie die stumpfe Seite eines Messers an einem Metallstück. Doch der Funke will einfach nicht überspringen. Als es endlich klappt, ist Hahn sichtlich erfreut; eine kleine, gemeisterte Herausforderung in einem großen simulierten Überlebenskampf.
Für Arthur scheint Prepper-Sein vor allem Verbundensein zu bedeuten: Mit der Natur und sich selbst. Er bereitet sich auf offenbar ein sehr reduziertes und urtümliches Leben vor. „Die Menschen sind dumm genug, sich selbst auszurotten“, sagt er. Der Welt gebe er noch 200 Jahre. Und an Hahn gerichtet: „Besser, du kriegst keine Kinder.“
Dominik wirkt pragmatischer. Eines seiner Überlebenskits hat er in seinem weißen Mercedes verstaut. Vakuumierte Kleidung, mehrere Sack Proviant und Weiteres. Er sagt: „Prepper sind ganz normale Menschen. Manche haben Modelleisenbahnen als Hobby, ich halt das preppen.“
Er glaubt, dass Prepper einfach nur die konsequenteren Menschen sind. „Viele Leute fragen sich ja: Was ist denn dann, wenn ich keinen Strom mehr habe?“, meint er. „Aber sie verdrängen das dann eben. Wir Prepper stellen uns dem.“
Daniel scheint am ehesten die gängigen Klischees zu bestätigen: Bundeswehr-Vergangenheit, an einer Wand in seiner Wohnung hängen Pistolen-Holster. Den Klimawandel hätten Menschen vielleicht beschleunigt, aber gekommen wäre er so oder so, glaubt er. In der langen Geschichte des Universums und der Erde hätten die Menschen nur einen kurzen Gastauftritt.
Natürlich haben sie auch vieles gemein, Dominik, Arthur und Daniel. Bei allen stapeln sich die Notfallkonserven, teils an mehreren Orten. Natürlich bestätigen sie Klischees. Aber Hahns origineller Film zeigt, dass die Prepper-Szene nicht nur aus rechtsgerichteten, waffenvernarrten Verschwörungstheoretikern besteht.
Und sie sagen vieles, was schlicht den gesunden Menschenverstand anspricht. Etwa Dominik: „Diesen Wohlstand, diesen Frieden, diese geringe Sterblichkeit, in der wir heute Leben… das hatten wir ja noch nie.“
Wer sagt, dass das so bleibt?
Über die gesamte Dauer des
'Zeltplatz der Zivilisation' verwaltet der überregional bekannte Journalist und Fotograf Philipp Awounou die wichtigsten Postdienste vor Ort. Alles was auf dem Zeltplatz passiert, geht über die Poststelle nach draußen. In persönlichen Briefen, griffigen Telegrammen, ganzen Zeitungsartikeln und mit Fotos begleitet, kommentiert und reflektiert Philipp Awounou das Geschehen. Dadurch bleiben wir nicht nur alle auf dem Laufenden, sondern sind zugleich eingeladen, die eigenen Erlebnisse oder Gedanken in neue Fächer zu sortieren.
Wer regelmäßig aus der Poststelle beliefert werden will, kann die Sendungen unter
kontakt@jahrmarkttheater.de abonnieren.